Struensee - Der Fall
Eine politische Affäre im Spiegel von Flugschriften

Diese kleine Kabinettausstellung zeigte politische Flugblätter und spektakuläre Exponate rund um die „Struenseeaffäre“ am Kopenhagener Hof 1772. Der Mediziner und bedeutende Reformer, Johann Friedrich Struensee, stürzte über eine Affäre mit der dänischen Königin Caroline Mathilde.

Der dänische König Christian VII. in einem Porträt von Jens Juel, um 1770
Der dänische König Christian VII. in einem Porträt von Jens Juel, um 1770

Im April 1772 kam es in Kopenhagen zu einer öffentlichen Hinrichtung, die in den aufgeklärten Kreisen Europas für Aufruhr sorgte: Der Verurteilte war Johann Friedrich Struensee (1737–1772).

Der Altonaer Arzt war 1769 an den Hof des geisteskranken dänischen Königs Christian VII. (1749–1808) berufen worden. Rasch stieg Struensee dort vom Leibarzt des Königs zum einflussreichsten Mann am Kopenhagener Hof auf. De facto regierte er schließlich den dänischen Staat und setzte innerhalb kürzester Zeit etliche politische und soziale Reformen durch. Nachdem allerdings in der Öffentlichkeit seine Affäre mit Königin Caroline Mathilde (1751–1775) bekannt geworden war, kam es zu einer Palastrevolte und zu einem Scheinprozess gegen den Reformer, der mit seiner Hinrichtung endete.

Arzt und Reformer: Johann Friedrich Struensee

Der 1769 an den dänischen Hof berufene Arzt Johann Friedrich Struensee war ein aufgeklärter Mediziner und Reformer. Vor allem auf dem Gebiet der Seuchenkunde, aber auch mit seinen Erkenntnissen über den Zusammenhang von Armut, fehlender Bildung und Krankheit war er seiner Zeit weit voraus.

Johann Friedrich Struensee (1737–1772)
Kompromittierend: Der Hofmaler Jens Juel malte den späteren Geliebten der Königin in gleicher Größe und Art wie das Königspaar, um 1770
Caroline Mathilde
Die Dritte im Trio: Auch das Gemälde der Königin malte Jens Juel

Eine unglückliche Königin

Caroline Mathilde, Schwester des Königs von Großbritannien und Kurfürsten von Hannover, Georg III., wurde bereits als Fünfzehnjährige mit dem König von Dänemark, Christian VII., verheiratet. Bald musste sie feststellen, dass ihr Gemahl kein Interesse an ihr hatte und sein Charakter zudem von einer beginnenden Geisteskrankheit überschattet war. Verunsichert und traurig zog sie sich weitestgehend vom Hofleben zurück.

Die Königin hat die Hosen an

Erst durch die verständnisvollen Bemühungen Struensees, den Caroline Mathilde nun auch konsultierte, stabilisierte sich die Stimmung am Hofe. Auf Struensees Rat begann sie mit dem Reiten, das sie bald mit großer Leidenschaft betrieb. Ihre Ausritte im Herrensattel und mit Reithosen wurden als kompromittierend empfunden und schadeten dem öffentlichen Ansehen der Königin erheblich. Bald darauf erscheinende Flugblätter zeigten sie in
despektierlichen Darstellungen und machten sie zur Zielscheibe des Spotts.

Die „großmächtigste Königin zu Pferde“ - ein dänisches Flugblatt, Holzschnitt, um 1772
Die „großmächtigste Königin zu Pferde“ - ein dänisches Flugblatt, Holzschnitt, um 1772
In diesem dänischen Kupferstich wird auf das Verhältnis Struensees mit der Königin angespielt.
In diesem dänischen Kupferstich wird auf das Verhältnis Struensees mit der Königin angespielt.

Der Traum von einer Revolution

Struensee hatte das Vertrauen des geisteskranken dänischen Königs Christian VII. gewonnen und stieg bald zum Kabinettsminister auf. Aus der Zuneigung zur Königin war eine Liebesbeziehung geworden. Zeitweilig lebte das Königspaar mit Struensee in einer Art „ménage à trois“, zurückgezogen vom offiziellen Hof. In dieser Situation gewann Struensee überragende Macht und regierte schließlich de facto den dänischen Staat. Zunächst im Namen des Königs und schließlich eigenmächtig setzte Struensee in kürzester Zeit unzählige politische und soziale Reformen durch, mit denen er – auf unblutige Weise – bereits zwei Jahrzehnte vor der Französischen Revolution wesentliche Errungenschaften dieser Umwälzung vorwegnahm.

Das Todesurteil

Mit seinen von den Ideen der Aufklärung geprägten Reformen brachte Struensee jedoch besonders den Adel gegen sich auf, der sich seiner Privilegien beraubt sah. Innerhalb kürzester Zeit setzten Struensees Gegner eine Welle der Verleumdung und Diffamierung in Gang, die mit gezielt in Flugblättern gestreuten Gerüchten und Unterstellungen auch die Bevölkerung gegen ihn aufwiegelte. In der Nacht zum 17. Januar 1772 kam es schließlich zu einer Palastrevolte, bei der Struensee und einige ihm nahestehende Personen verhaftet wurden. Nach einem in ganz Europa Aufsehen erregenden Scheinprozess wurde Struensee in Kopenhagen im April 1772 hingerichtet.

Die Hinrichtung Struensees fand ein internationales mediales Echo. Französischer Kupferstich, 1772
Die Hinrichtung Struensees fand ein internationales mediales Echo. Französischer Kupferstich, 1772

Mit angesteckten Vivatbändern begrüßten die Bürger die 1772 in Celle einziehende Königin Caroline Mathilde – in der Hoffnung, dass königlicher Glanz Wirtschaft und Kultur der einstigen Residenzstadt wiederbeleben würde.

Verhängnisvolle Liebe

Im Zuge der Palastrevolte war auch die Königin verhaftet worden. Während ihr Geliebter hingerichtet wurde, musste Caroline Mathilde in der Festung Kronburg das Urteil ihres Ehescheidungsprozesses erwarten. Die Schuld wurde ihr zuerkannt, die Ehe geschieden und sie sollte künftig isoliert in Aalborg leben. Auf Veranlassung ihres Bruders König Georgs III. von Großbritannien wurde Caroline Mathilde in das Schloss Celle überführt, wo sie bis zu ihrem frühen Tod 1775 lebte. Ihre Kinder musste sie in Dänemark zurücklassen. In den Räumen im Ostflügel des Schlosses, in denen die Königin einst lebte, befindet sich heute eine ihr gewidmete Dauerausstellung.

Eine Medienkampagne des 18. Jahrhunderts

Die Ereignisse, die zum Sturz des Kabinettsministers Johann Friedrich Struensee führten, wurden begleitet von einer Presse, die mit Flugblättern und Schmähschriften die Meinung der Öffentlichkeit stark gegen ihn beeinflusste und zu seiner Vorverurteilung beitrug. Mit verunglimpfenden Texten und vor allem Bildern wurde in der Bevölkerung ein Klima der Feindseligkeit geschaffen. Propagandaschriften zu politischen oder religiösen Fragen hatte es auch schon in früheren Zeiten gegeben, im Zusammenhang der Struensee-Affäre erreichte die Zahl der Veröffentlichungen jedoch ein bisher nicht gekanntes
Ausmaß. Die Auflagenhöhe einzelner Flugblätter war so enorm, wie sie es für Flugblattproduktionen erst wieder in der Zeit der Französischen Revolution werden sollte.

Deutscher Kupferstich, nach 1772
Deutscher Kupferstich, nach 1772

Entdecken Sie eine Flugschrift der Struensee-Affäre!

Johanna Dorothea Philipp (1729–1791)
Kupferstich
Maße: 18 x 27,5 cm

 

 

„Sey genügsam, Struensee, mit deinem Ordensband /
Doch von des Königs Schmuck laß die verwegne Hand:/
Denn die Gerechtigkeit muß dieses an dir rächen, /
Und der Verwegenheit ein Todes-Urtheil sprechen.“

 

Der erst nach 1772 erschienene Kupferstich gehört zu den hochwertigsten und detailreichsten in der Sammlung von Flug- und Schmähschriften gegen Johann Friedrich Struensee. Die hervorragende Druckqualität weist darauf hin, dass er für eine gehobene Käuferschicht gedacht war. Im Gegensatz zu den meisten eher einfach gehaltenen Spottblättern spielt der Stich detailreich auf verschiedene Gerüchte und Anklagepunkte gegen Struensee an.

Struensee wird in der Rolle des Königs dargestellt.

Kronjuwelen und weiteres Silber

Im Hintergrund ist die Justitia zu sehen

Anspielung auf Struensees Erziehungsprogramm für den Kronprinzen Frederik

Struensee wird in der Rolle des Königs dargestellt. Auf einem Thron sitzend zeigt er auf die Insignien der Macht, die Krone und den Marschallstab. Struensee hatte das Geheime Conseil auflösen und sich zum Geheimen Kabinettsminister ernennen lassen – wodurch die Macht tatsächlich de facto in seinen Händen lag. Zudem gab es Gerüchte, nach denen er zusammen mit Caroline Mathilde plante, den König ermorden zu lassen. Unterschwellig stützt die Darstellung das Bild eines eitlen und selbstgefälligen Aufsteigers, der eine Gefahr für das Königtum und die soziale Ordnung sei.

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Die vor Struensee auf dem Tisch ausgebreiteten Kronjuwelen und weiteres Silber sollten den Eindruck erwecken, er habe sich gesetzeswidrig aus der königlichen Schatulle bedient. Einem Objekt kommt ganz besondere Bedeutung zu: Es ist der Caroline-Mathilde-Orden, der direkt vor ihm auf dem Tisch liegt. Für die Finanzierung dieses von der Königin gestifteten Ordens war ein wertvolles Juwelenbukett verkauft worden, das König Christian VII. seiner Gemahlin zur Geburt des Kronprinzen geschenkt hatte.

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Im Hintergrund ist die Justitia zu sehen, eine Allegorie des Rechtes. Sie zeigt die bekannten Attribute: eine Waage (als Symbol der sorgfältigen Abwägung einer Sachlage) und ein Richtschwert (zur Durchsetzung des Rechts mit der erforderlichen Härte) sowie die Augenbinde, die für das Urteilen ohne Ansehen der Person steht. Das Urteil über Struensee und seine harte Bestrafung werden hier als gerecht und erforderlich zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung gedeutet.

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Die Darstellung des in einer Erdhöhle gefangenen Jungen spielt auf Struensees Erziehungsprogramm für den Kronprinzen Frederik an. Die als gefährlich empfundenen Methoden zur Abhärtung (durch Kaltbäder, Barfußlaufen, Bewegung im Freien und eine an Rohkost reiche Nahrung), die Struensee dem kränkelnden Kronprinzen verschrieben hatte, waren sogar erfolgreich gewesen. Doch diese moderne Anschauung wurde in einer Gesellschaft, die eine würdevolle und aufwendige Repräsentation erwartete, nicht verstanden und konnte damit leicht im Sinne eines Versuchs Struensees ausgelegt werden, sich des Jungen zu entledigen.

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Entdecken Sie die Geschichte hinter einem Gemälde!

 

In Zusammenarbeit mit der Kreativen Ballettschule Ilona Harf aus Celle, dem Filmemacher Sven Kalvelage (Crozonfilm) und dem Residenzmuseum entstand dieses Filmprojekt. Ausgangspunkt ist eine Darstellung des Malers Kristian Zahrtmann, die auf einem Gemälde von 1881 in der Ausstellung zu sehen ist.

In einer Choreographie von Ilona Harf tanzen Kinder und Erwachsene der Celler Ballettschule sowie zwei professionelle Akteure die Geschichte, die sich hinter der Darstellung befindet: Struensees Stabilisierung des kranken Königs Christian VII., seinen Aufstieg zum selbstsicheren (selbstherrlichen?) Minister, die Annäherung Struensees und der Königin, seinen natürlichen Umgang mit dem Kronprinzen und dessen Spielgefährten, die zunehmende Isolierung von der Hofgesellschaft sowie schließlich den Sturz des Reformers. Die Aufnahmen entstanden in Schloss Richmond, Braunschweig.

Kuratorinnen: Juliane Schmieglitz-Otten, Anke Weisbrich
Gestaltung: Homann Güner Blum – Visuelle Kommunikation
Medienpartner::
NDR Kultur

Veröffentlichung:

Struensee – Der Fall. Diffamierung und Sturz eines Reformers 1772, hg. vom Bomann-Museum Celle, Abtlg. Residenzmuseum im Celler Schloss, Celle 2011 (ISBN: 978-3-925902-82-6)

Es herrschte überhaupt eine Anarchie, da niemand seine Autorität gebrauchen wolle noch dürfe,
aus Furcht, sich zu schaden.

— Johann Friedrich Struensee (1737–1772) über die Zustände im dänischen Staat